Der Zahir by Paulo Coelho

Der Zahir by Paulo Coelho

Autor:Paulo Coelho [Coelho, Paulo]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3257064640
Herausgeber: Diogenes Verlag
veröffentlicht: 2011-05-15T17:40:39+00:00


Wenn der von uns Unerwünschte kommt,

mag sein, daß ich mich fürchte. Mag sein, daß ich lächle

und sage:

Mein Tag war gut, die Nacht darf sich herniedersenken.

Du findest das Feld bestellt, den Tisch gedeckt,

das Haus geputzt, jedes Stück an seinem Platz.

Ich fände es schön, wenn es so wäre: jedes Stück an seinem Platz. Und was wäre meine Grabinschrift? Esther und ich hatten schon ein Testament gemacht, in dem wir unter anderem geregelt hatten, daß wir eingeäschert werden wollten. Meine Asche soll an einem Ort namens Cebreiro am Jakobsweg vom Wind verweht und ihre ins Meer gestreut werden. Das heißt, ich will keinen Grabstein mit einer Inschrift.

Wenn ich aber eine Grabinschrift wählen müßte, dann folgende: »Er war lebendig, als er starb.«

Das mag wie ein Widerspruch klingen, aber ich kenne viele Menschen, die aufgehört haben zu leben, obwohl sie weiterarbeiten, essen und gesellschaftliche Kontakte pflegen. Sie machen alles automatisch, ohne den magischen Augenblick zu erkennen, den jeder Tag in sich trägt, ohne innezuhalten, um über das Wunder des Lebens nachzudenken, ohne zu begreifen, daß die nächste Minute ihre letzte auf diesem Planeten sein könnte.

Es brachte nichts, dies dem Pfleger erklären zu wollen − vor allem, weil ein anderer an seiner Stelle das Geschirr abräumte und dabei geradezu zwanghaft auf mich einredete, vielleicht auf Anordnung des Arztes. Der neue Pfleger wollte wissen, ob ich mich an meinen Namen erinnerte, ob ich wußte, welches Jahr wir hatten, den Namen des amerikanischen Präsidenten und anderes mehr, was nur im Rahmen einer Untersuchung meiner geistigen Fähigkeiten Sinn machte.

Und all das nur, weil ich eine Frage gestellt hatte, die jeder Mensch stellen sollte: Haben Sie schon einmal über Ihre Beerdigung nachgedacht? Wissen Sie, daß Sie früher oder später sterben werden?

An jenem Abend schlief ich lächelnd ein. Der Zahir verschwand allmählich, Esther trat wieder an seine Stelle, und wenn ich jetzt sterben müßte, wäre ich − trotz allem, was in meinem Leben geschehen war, trotz aller Niederlagen, trotz des Verschwindens der geliebten Frau, trotz allen Unrechts, das ich erfahren oder anderen zugefügt hatte − bis zur letzten Minute lebendig gewesen und konnte voller Gewißheit sagen: »Mein Tag war gut, die Nacht darf herniedersteigen.«



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